Warum der Familienvater und Ex-Fußballprofi Dirk Brünker am 23. Dezember 2022 verschwand und starb, scheint für die Polizei geklärt. Er sei in Villingen vor seinem Wohnhaus in die Brigach gestürzt und ertrunken. Doch seine Familie hatte von Anfang an erhebliche Zweifel an dieser Version. Seit nunmehr zwei Jahren fordert sie vollständige Einsicht in die Ermittlungsakten. Das Polizeipräsidium Konstanz verweigert die Herausgabe.
In den überlassenen Aktenfragmenten findet sich ein brisantes Dokument: eine nachträgliche Auswertung der Standortdaten von Dirk Brünkers Handy, erstellt über einen Monat nach Abschluss der Ermittlungen. Das Recherche-Zentrum hat diese Daten analysiert und mit Unterstützung von Forensic Architecture (Goldsmiths, University of London) kartografisch ausgewertet. Das Ergebnis: Ein Bewegungsprofil, das nicht zur These eines Unglücks passt.
Angesichts dieser Widersprüche hat die Familie Brünker eine Petition zur Wiederaufnahme der Ermittlungen gestartet.
Letzter bekannter Aufenthaltsort
Zunächst teilte die Polizei mit, Dirk Brünker sei zuletzt in der Altstadt von Villingen im Gasthaus Ott gesehen worden. Doch das stimmt nicht. Wie das Recherche-Zentrum im Dezember 2024 berichtete, mischte sich Dirk Brünker auf dem Heimweg in eine polizeiliche Festnahme ein. Somit waren Polizeibeamte die letzten bekannten Personen, die mit ihm sprachen.
In den Wochen nach seinem Verschwinden folgten groß angelegte Suchaktionen. Auch der kleine Fluss Brigach wurde mehrfach intensiv abgesucht. Dirk Brünker blieb verschwunden.
Ermittlungen wegen eines möglichen Tötungsdelikts
Am 30. Dezember 2022 stellte die Polizei anhand von Funkzellendaten fest, dass sich Dirk Brünkers Handy innerhalb von 24 Minuten rund zehn Kilometer weit nach Grüningen bewegt hatte. Da eine Fahrt mit Zug oder Taxi ausgeschlossen wurde, bewerteten die Ermittler den Ortswechsel als zwangsweise Verbringung mit einem Fahrzeug.
Ab Mitte Februar 2023 wurde offiziell wegen eines Tötungsdelikts ermittelt. Als jedoch am 9. März die Leiche von Dirk Brünker am Ufer der Brigach in Donaueschingen gefunden wurde, teilte die Polizei der Familie noch vor Abschluss der Obduktion mit, dass ein Verbrechen auszuschließen sei. Vier Tage später stellte sie die Ermittlungen ein. Eine Erklärung für den zuvor festgestellten schnellen Ortswechsel gab es nicht.
Auswertung der Handydaten: Die Blaue Liste
Bei der Bergung des Leichnams von Dirk Brünker wurde sein iPhone 8 in der verschlossenen Brusttasche der Jacke gefunden. Die Kriminalpolizei Rottweil wertete das Gerät mithilfe eines UFED-Readers der Firma Cellebrite aus. Der Sachbearbeiter erhielt den Auftrag, ausschließlich die Standortdaten des Handys zu erfassen. Er erstellte dazu eine Tabelle, die vom Recherche-Zentrum aufgrund ihrer blauen Formatierung als Blaue Liste bezeichnet wird.
Auffällig ist die geringe Präzision vieler Standortangaben. Statt klarer GPS-Koordinaten enthält das Dokument nur allgemeine Ortsbeschreibungen. Aus welchen Daten diese Ortsbeschreibungen vom Sachbearbeiter zusammengestellt sind, bleibt unklar.
Hinzu kommen handwerkliche Mängel: Rechtschreibfehler bei Orts- und Straßennamen, fehlende Nummerierungen und eine unklare Kartendarstellung. Der letzte Standort in Überauchen fehlt vollständig. Diese Art der Bearbeitung schafft den Eindruck einer linearen Nord-Süd-Bewegung von Dirk Brünker. Im Detail zeigt das Bewegungsprofil jedoch etwas anderes.
Erste Karte: Bewegung zwischen Innenstadt und Wohnhaus
Die erste Karte von Forensic Architecture zeigt das Stadtzentrum von Villingen. Sie dokumentiert, dass sich Dirk Brünker zwischen dem ersten erfassten Standort und seinem Wohnhaus rund 800 Meter bewegte. Statt der zu erwartenden elf Minuten brauchte er 21 Minuten.
Er wechselte mehrfach die Richtung und hielt sich rund vier Minuten lang vor der Kneipe Harlekin auf. Ob es dabei zu einer Interaktion kam, geht aus den vorliegenden Aktenfragmenten nicht hervor. Der restliche Weg verlief auffallend langsam. Mehrere Standortangaben liegen in unmittelbarer Nähe des Wohnhauses.
Doch statt exakter Koordinaten finden sich ausgerechnet an dem Ort, wo Dirk Brünker ins Wasser gestürzt sein soll, nur vage Ortsbeschreibungen in der Blauen Liste. Der letzte Handystandort im Stadtbereich Villingen liegt um 20:50 Uhr etwa 80 Meter flussaufwärts vom Wohnhaus.
Zweite Karte: Flussabwärts, dann flussaufwärts?
Das Bewegungsprofil von Dirk Brünkers Handy widerspricht auf der zweiten Karte deutlich dem von der Polizei behaupteten Treiben des Körpers in der Brigach.
Um 21:25 Uhr dokumentiert die Blaue Liste das Handy weit außerhalb von Villingen, in der Nähe des Ortes Beckhofen. Nur fünf Minuten später wird es in Grüningen, weitere zwei Kilometer südlich, erfasst. Dann ändert sich plötzlich die Richtung. Das Handy bewegt sich nach Klengen und von dort nach Überauchen, beide Male entgegen der Fließrichtung der Brigach, Richtung Norden.
Solche Bewegungen lassen sich nicht mit einem Treiben im Wasser erklären. Doch im offiziellen Kartenmaterial zur Blauen Liste fehlen diese Richtungswechsel vollständig, da die Standortdaten nicht nummeriert sind.
Nach 22:25 Uhr finden sich auf der Blauen Liste keine weiteren Daten. Im Bericht heißt es jedoch, es habe weitere Standortdaten mit Abweichungen von bis zu 3000 Metern gegeben. Laut Sachbearbeiter habe der mögliche Wassereintritt zu diesen hohen Abweichungen geführt, daher habe er diese nicht in die Blaue Liste aufgenommen. Die Bewegungsrichtung nach 22:25 Uhr bleibt deshalb ebenso unklar wie der letzte Standort, bevor sich das Handy um 00:42 Uhr abschaltete oder abgeschaltet wurde.
Wie transparent ist die Blaue Liste?
Der Sachbearbeiter erklärt in dem Bericht, dass große Abweichungen bestimmter Standortdaten durch Wassereintritt verursacht wurden. Aber ist das technisch überhaupt möglich? Warum sollte ein Wassereintritt dazu führen, dass Standortdaten ungenau werden, statt gar nicht mehr erzeugt zu werden?
Es stellt sich außerdem die Frage, warum abweichende, aber vorhandene Daten nach 22:25 Uhr weggelassen wurden, obwohl ähnliche zuvor berücksichtigt worden waren. Wer die Blaue Liste liest, bekommt also nur einen unvollständigen Eindruck. Bei einem ungeklärten Todesfall wiegt jede Auslassung schwer.
Die aufgezeichneten Bewegungsmuster zeigen eine zielgerichtete Fortbewegung, teils mit längeren Aufenthalten. Alles deutet darauf hin, dass sich das Gerät an Land bewegte, möglicherweise in einem Fahrzeug.
Die Theorie eines tragischen Sturzes in die Brigach ist durch die Bewegungsdaten nicht belegbar. Im Gegenteil: Sie sprechen gegen ein Unglück und für ein bislang nicht aufgeklärtes Geschehen.
Für Dirk Brünkers Tochter Tamara ist es nicht nachvollziehbar, warum die Blaue Liste nicht sofort zur Wiederaufnahme der Ermittlungen geführt hat:
„Sie haben nicht einmal alle Standortdaten in die Blaue Liste eingetragen. Wir möchten die Rohdaten haben, um selbst unabhängige Untersuchungen der Bewegungen meines Vaters am Tag seines Verschwindens in Auftrag geben zu können. Wenn es nichts zu verbergen gibt, dann sollte es für die Polizei Konstanz kein Problem sein, uns diese auch zu geben.“