Mitten im Verfahren um die vollständige Akteneinsicht ist ein Dokument aufgetaucht, das der Familie von Dirk Brünker bisher nicht bekannt war. Das Polizeipräsidium Konstanz hat dem Verwaltungsgericht Freiburg überraschend einen Abschlussvermerk vom 15. März 2023 vorgelegt. Dieses Papier wird nun herangezogen, um die Unfallthese zu untermauern.
Die Familie war bisher davon ausgegangen, dass die Ermittlungen bereits am 13. März 2023 beendet worden waren, da sich in den übergebenen Akten ein auf dieses Datum datierter Abschlussvermerk befindet.
Im neuen Vermerk heißt es, die Brigach habe am Abend des 23. Dezember 2022 eine so hohe Fließgeschwindigkeit gehabt, dass Dirk Brünker in nur 45 Minuten rund sechs Kilometer von Villingen bis nach Grüningen hätte abgetrieben werden können. Das entspräche einer Geschwindigkeit von 2,22 Metern pro Sekunde. Diese Darstellung ist kaum vorstellbar, zumal Dirk Brünker 1,92 Meter groß war, 93 Kilogramm wog und Winterkleidung trug. Zudem gab es an diesem Tag nachweislich kein Hochwasser.
Die Hochwasser-Behauptung
Um diese These zu stützen, erklärte die Polizei Konstanz bereits in einem Schreiben vom 21. Februar 2025:
„Ein Fremdverschulden kann ausgeschlossen werden. Dirk Brünker ist in stark alkoholisiertem Zustand aufgrund Unachtsamkeit am 23.12.2022 in den Fluss Brigach gestürzt und in der Folge am selben Tag ertrunken. Die Brigach führt am Wohnhaus der Familie Brünker vorbei und war im Zeitpunkt des Unfalls wegen Hochwassers über die normale Uferlinie getreten.“
Messdaten und Experteneinschätzungen widersprechen jedoch dieser Version. Nach den offiziellen Pegelständen des Landesbetriebs Gewässer (RP Freiburg) lag der Wasserstand der Brigach am 23. Dezember 2022 in Villingen bei 68 Zentimetern, am 24. Dezember bei 74 Zentimetern. Diese Werte bewegen sich nur knapp über dem Dezemberdurchschnitt von 56 Zentimetern. Von einem Hochwasser, wie es die Polizei behauptet, kann also keine Rede sein.
Auch der Gewässerexperte Jochen Herr erklärte in einem Interview mit dem Radiosender Antenne 1, dass es an diesem Tag eindeutig kein Hochwasser in der Brigach gegeben habe.
Handydaten statt Funkmasten
Ein weiterer Widerspruch betrifft die Standortdaten von Dirk Brünkers Handy. Die Polizei verweist in ihrem aktuellen Schreiben auf Funkzellen, in die sich das Gerät eingeloggt habe. Nach späteren Vermessungen in den Jahren 2024 und 2025 hätten diese Funkmasten eine größere Reichweite als im Januar 2023 ermittelt.
Damit, so die Polizei, lasse sich die Bewegung zwischen den Standorten Villingen und Grüningen auch mit einem Treiben im Fluss erklären und nicht mehr wie noch im Februar 2023 mit einer „zwangsweisen Verbringung in einem Pkw“.
Fragwürdig bleibt, warum die Ermittlungen bereits im März 2023 offiziell abgeschlossen wurden, obwohl die damaligen Akten selbst noch von einer möglichen Verbringung im Pkw ausgehen. Die Neuvermessungen der Funkmasten erfolgten erst in den vergangenen Monaten und konnten zum damaligen Zeitpunkt gar nicht vorliegen.
Auffällig ist zudem, dass die Polizei in ihrem Schreiben einen zentralen Unterschied ausklammert: Während Funkzellendaten nur grobe Reichweiten angeben, liefern die direkt auf dem Handy gespeicherten Daten ein viel genaueres Bewegungsbild. Gerade diese Daten werfen gravierende Fragen zum Weg von Dirk Brünker auf.
Juristische Einordnung
Der Berliner Rechtsanwalt Sebastian Scharmer, der die Familie vertritt, bewertet die neuen Unterlagen eindeutig. In einem Schreiben vom Oktober 2025 an die Staatsanwaltschaft Konstanz erklärte er:
„Der nun übersandte Vermerk ist nicht ansatzweise geeignet, die bestehenden Verdachtsmomente eines Tötungsverbrechens auszuräumen. Er zeigt vielmehr, dass den Hinterbliebenen wesentliche Aktenbestandteile vorenthalten wurden. Zudem basiert die Auswertung der Standortdaten nicht auf Funkzellen, sondern auf den Geo-Daten des bei Dirk Brünker gefundenen Handys, die ein wesentlich genaueres Standortbild abgeben.“
Rechtsanwalt Scharmer hat beim Verwaltungsgericht außerdem beantragt, dass die vollständigen Rohdaten der Handy-Auswertung herausgegeben werden. Nur so könne eine unabhängige Überprüfung stattfinden.
Ungeklärte Widersprüche
Die Erklärungen der Polizei stehen im Widerspruch zu den gemessenen Pegelständen, den Einschätzungen eines Gewässerexperten und den Bewegungsdaten von Dirk Brünkers Handy. Besonders brisant ist folgender Punkt: Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, in dem es um die Vollständigkeit der Akten geht, argumentiert das Polizeipräsidium Konstanz mit einem abschließenden Vermerk vom 15. März 2023, einem Dokument, das der Familie bislang nicht übergeben wurde.
Wie kann es sein, dass die Ermittlungen laut Akten am 13. März 2023 offiziell beendet wurden und erst zweieinhalb Jahre später im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ein weiterer Abschlussvermerk auftaucht? Gerade dieser Umstand zeigt, dass die Akten der Familie nicht vollständig übergeben wurden und widerspricht der wiederholten Behauptung der Polizei, der Familie würden alle strafrechtlich relevanten Unterlagen vorliegen. Das wirft ein neues Licht auf die Glaubwürdigkeit der gesamten Aktenführung.